Udo Schiefners Rede bei der Klima.Werkstatt in Oberhausen
Wer schon einmal im Reichstagsgebäude in Berlin war kennt vielleicht das Kunstwerk von Hans Haacke „Der Bevölkerung" im nördlichen Innenhof. In einem Holzrahmen 7 mal 21 Meter wuchert eine bunte Vegetation wild um den Schriftzug „Der Bevölkerung" und wird nur ganz selten gärtnerisch gepflegt. Manche irritiert das. Ich finde es ein wunderbares Bild für die Einflussmöglichkeiten, die wir im Bundestag haben.
Mein Beitrag ist überschrieben: Den Rahmen schaffen – Wie die europäische und nationale Verkehrspolitik Wege aufzeigen kann und Grenzen setzen muss. Mit Hans Haackes Kunst gesprochen: Rahmen schaffen ja, Grenzen setzen auch, Wege aufzeigen ist schon schwerer. Im Rahmen geschieht das meiste doch, ohne, dass Politik darauf konkret einwirken könnte. Die meisten von Ihnen haben mit Ihren Professionen wesentlich mehr echte Gestaltungskraft als ich und meine Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsausschuss des Bundestages.
Sie haben Recht: ich will mich rausreden. Politik hat nur wenig Einfluss. Und doch das wenige, was wir tun können müssen wir tun. Unsere erste Priorität muss lauten, das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Die Welterderwärmung muss unter 2 Grad bleiben. Besser wäre, sie unter 1,5 Grad zu halten. Das heißt: Alle technischen, menschengemachten Prozesse müssen ab 2050 klimaneutral ablaufen. Wirtschaft und Produktion, Heizung und Kühlung, Landwirtschaft, Energieerzeugung, die Städte im Ganzen und selbstverständlich auch Verkehr und Luftverkehr müssen klimaneutral werden.
Laut dem Bericht des Weltklimarats haben wir noch ein weltweites CO2-Budget von 1070 Milliarden Tonnen. Solange wir weniger als das verbrauchten blieben wir unter 2 Grad Erwärmung. Für das 1,5 Grad-Ziel stünden uns nur noch 400 Milliarden Tonnen zur Verfügung. 2017 allein wurden 42 Milliarden Tonnen weltweit emittiert. In 25 bzw. 10 Jahren werden wir die Latte reißen. Bis zu 10% der Weltwirtschaftsleistung werden dann wegfallen.Ganze Länder werden verschwinden, weil der Meeresspiegel steigt - bei einem Temperaturanstieg von 3 Grad werden 3 bis 5 Meter angenommen. Der Hamburger Hafen existiert dann nicht mehr. Der Flughafen Amsterdam liegt heute schon 5 m unter dem Meeresspiegel. Bangladesh wird dann zu weiten Teilen verschwunden sein: Die Hauptstadt Dhaka liegt nur wenige Meter über normal null.
Wir müssen die Klimaziele erreichen. Dazu gibt es keine Alternative. Einzige Alternative wäre es, den Klimawandel zu leugnen und sich auf die Position des amerikanischen Präsidenten zu beziehen, der sagt: „Früher hieß das einfach Wetter!" Wir alle hier wissen, dass diese Denkweise nicht nur zynisch und unverantwortlich sondern schlicht menschenverachtend ist.
Was muss also im Verkehrssektor getan werden? Wir streben vor allem nachhaltige Mobilität für die Stadt an und die gesamte Mobilität muss bis 2050 klimaneutral sein. Im Durchschnitt machen alle Menschen pro Tag 4 Wege. Die Zahl hat sich in den letzten 40 Jahren nicht geändert, wohl aber die Gesamtlänge ihrer Wege. Waren es vor 40 Jahren noch knapp 20 km pro Tag, sind es heute über 40. 55% aller Wegekilometer legen wir mit dem eigenen motorisierten Fahrzeug zurück. Hier im Ruhrgebiet z.B. in Essen sind es 65 % die mit dem Kfz erledigt werden, nur 20% mit dem ÖPNV, 11% zu Fuß, und verschwindend geringe 4% mit dem Rad. Für Oberhausen werden ähnliche Zahlen gelten.
Diese Siedlungsräume müssen sich erheblich verändern. Städte und Dörfer müssen so aufgebaut sein, dass Wege vermieden werden können ohne die Menschen dabei sozial und kulturell einzugrenzen. Es gibt Städte, die dahingehend weiter sind. Freiburg hat nur 21 % Kfz-, aber 29 % Fuß- und 34 % Radanteil, Münster hat sogar 40% Fahrradanteil. In Kopenhagen fährt man schon seit langem im ziemlich perfekt organisierten Radverkehr mit grüner Welle im Radtempo auf neu gebauten Extratrassen. Mit dem Radschnellweg von Unna bis Duisburg und dem Radschnellwegeplan rollen wir mancherorts in die richtige Richtung. Rund 1.000 Radwege mit 350 km Radschnellwegen. Unser Ziel muss es sein, das Rad für immer mehr Menschen zu ihrem wichtigsten Alltagsverkehrsmittel zu machen.
In Wien wiederum hat öffentlicher Nahverkehr einen Anteil von 40%. Wien ist in zweierlei Hinsicht ein gutes Beispiel: In Wien kann man mit einer Jahreskarte für 1 € pro Tag den ÖPNV nutzen. In Berlin oder München kostet das vergleichbare Angebot etwa das Doppelte. In Wien wurden auch Wege für den motorisierten Individualverkehr zurückgebaut. Daraus folgte ein Zuwachs für den ÖPNV von 25%. Bonn und Reutlingen wollen als Modellstädte ähnliches erproben.
Wäre es nun richtig, den ÖPNV umsonst anzubieten? Ich denke, eher nicht. Verkehr könnte zwar gebührenfrei angeboten werden, Verkehr ist aber nicht umsonst. Wo er umsonst ist, kannibalisiert er die Fuß- und Radverkehre. Notorische Autofahrer werden weiter Auto fahren. Günstiger, so wie in Wien, aber nicht umsonst. Das ist der richtige Ansatz. Es ist eben nicht allein der Preis.
Der öffentliche Verkehr muss attraktiver werden. Takte müssen verdichtet werden, die Umstiegspunkte müssen optimiert werden. Wir brauchen Mobilitätspunkte wie in Bremen oder Hannover. Bikesharing, Carsharing und ÖPNV müssen intelligent miteinander vernetzt werden.
Mit einer Milliarde Euro mehr im Gemeindeverkehrsfinanzierungs-gesetz und einer Milliarde mehr bei den Regionalisierungsmitteln seit 2017 stellt der Bund Geld zur Verfügung, mit dem die Länder arbeiten können.
Die Fortschritte im Nahverkehr müssen parallel zur Entwicklung des Fernverkehrs laufen. Die Deutsche Bahn will und wird mehr investieren und den Deutschlandtakt hoffentlich ab 2030 umsetzen können. Mit dem Schienenpakt wollen wir den Personenverkehr auf der Schiene bis 2030 verdoppeln.
Ein anderes Beispiel aus Wien ist der Neubau des Stadtteils Seestadt Aspern. Bis 2028 entsteht ein neues Stadtviertel für 20.000 Menschen im Sinne einer klimaneutralen Stadt. Die Autos werden in Parkhäusern am Rande abgestellt. Im Stadtteil selbst sollen kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit möglich sein. Damit entspricht man dort auch dem Leitbild der Leipzig-Charta, in der schon 2007 die nachhaltige Stadt von Morgen propagiert wurde. In Freiburg gibt es ähnlich strukturierte Stadtteile, Essen verfolgt mit dem Projekt Essen 51 einen ähnlichen Plan. Neue Stadtplanung macht also durchaus Schule. Wir haben mit der Baunutzungsverordnung ein neues Wohngebiet – das Urbane Gebiet – geschaffen.
Ein weiteres wichtiges Feld ist Transport und Logistik. Die Logistik zwischen und in den Städten muss optimiert werden. Es gibt inzwischen logistikfreie Innenstädte wie in Göteborg und Oslo. Dort fahren von Paketzentren kleine e-betriebene Zulieferfahrzeuge in die Städte. Die großen Lieferanten bleiben mit ihren Fahrzeugen vor der Stadt. Erst kürzlich konnte ich mir ein vergleichbares Unternehmen im Aufbau in Düsseldorf anschauen. Solche Logistiksammelplätze sollten unbedingt am Schienennetz sein. Wir müssen, aber das ist eine uralte uneingelöste Forderung, mehr auf die Schiene verlagern. Die Digitalisierung der Schiene, der Ausbau der Leit- und Sicherungstechnik und die Umrüstung der Lokomotiven treiben wir voran.
Der Ausbau des 740m-Netzes hat begonnen. Zahlreiche Investitionen stehen im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 an. Genauso müssen wir die Binnenschifffahrt fördern. Dazu gehört es, das westdeutsche Kanalnetz zu optimieren, Schleusen zu erneuern, Schiffe auf LNG umzurüsten. Die finanziellen Mittel dafür sind im Bundesverkehrswegeplan und im Bundeshaushalt vorgesehen. Es geht nur eben nicht schnell genug.
Zusammengefasst: wir brauchen multimodale Netze und müssen intermodales Mobilitätsverhalten fördern.
Diese Aufgabe ist gewaltig und muss auf verschiedensten Ebenen gelingen. Im Bundestag versuchen wir uns daran und auch meine Kolleginnen und Kollegen in Brüssel arbeiten mit den Mobility Packages in die richtige Richtung. Aber, Sie wissen, die Abstimmungen zwischen den Interessen, die zum Teil sehr weit auseinanderliegen, sind selten einfach und nehmen meist zu viel Zeit in Anspruch. Für unser Klima dauert es hoffentlich nicht alles zu lang.